Wenn nicht jetzt, wann dann? – Relegation, Teil 1


Ja, was soll man da sagen. Es war definitiv eine Reise, die in Erinnerung bleiben wird – nicht nur sportlich, sondern auch menschlich. Bereits die Hinfahrt hatte ihren ganz eigenen Charme: mit dem frühen Bus, bester Stimmung und unserer mitgereisten Ultraszene im Gepäck. Wer dabei war, weiß – das war kein gewöhnlicher Spieltag, das war ein echtes Erlebnis.

Für mich persönlich war dieses Spiel sogar noch mehr: ein Wiedersehen mit der Landesliga, das ich vermisst habe. Die Atmosphäre, das Niveau, das Adrenalin – all das hat gefehlt. Umso besonderer war der Moment, als wir zum Einlaufen in die Halle gerufen wurden – begleitet vom Badnerlied, lautstark angestimmt von unseren Fans. Gänsehaut pur. Wer da nicht motiviert ist, hat den Handball nie geliebt.

Was das Spiel selbst angeht? Überraschend ruhig. Zumindest, was die Vorbereitung betrifft. Normalerweise nehmen wir uns an spielfreien Wochenenden gern die Zeit, den kommenden Gegner etwas unter die Lupe zu nehmen – Wurfbilder checken, Abwehrformationen analysieren, einfach ein Gefühl fürs Spiel entwickeln. Dieses Mal? Fehlanzeige. 

Nicht nur die Distanz von knapp 170 Kilometern stellte uns vor logistische Herausforderungen – auch der Spielplan meinte es nicht gerade gut mit uns. Wer unser Gegner sein würde, war lange unklar, und so blieb uns nichts anderes übrig, als auf Sicht zu fahren. Spielvorbereitung mal anders – dafür aber mit umso mehr Herz und Spontanität.

Sportlich wurde die Zeit jedoch genutzt, um noch an den letzten Feinheiten zu arbeiten. Dreimal die Woche, mit einer unglaublichen Trainingsbeteiligung. Jeder war heiß, jeder wollte sich empfehlen. Bin ich froh, dass ich „nur“ im Tor stehe und nicht den Kader nominieren musste. Mit dem Kader kam die Gewissheit. Auf einmal wurde dieses Spiel greifbar. Stieg die Nervosität? Minimal – ich würde es eher als gesunde Anspannung betiteln. Auf einmal war er gekommen, dieser Moment, auf den wir so lange hingearbeitet haben. Und dann diese Fahrt ins Ungewisse. Schon eine düstere Vorstellung, dass eine so gute Saison, nach 2 Spielen eine so gewaltige Wendung nehmen könnte. Aber in meiner Welt immer noch besser als Überheblichkeit.

Wie schon erwähnt: der Einlauf in die Halle unter lautstarkem Jubel unserer Fans – ein Gänsehautmoment. Die Atmosphäre war da schon am Kochen – mindestens so aufgeheizt wie die Temperatur in der Halle. (Und ungelogen – es war bockheiß).

Was danach kam, war Routine. Erwärmung, Mobilisation, letzte Abstimmungen. Dann ging’s nochmal in die Kabine – zur finalen Ansprache von Coach Radon. Ich selbst wurde stiller. Der Puls stieg. Ich ging in mich. Fokus. Ich schaute hoch zu Felix, er erzählte, dass wir zurecht hier sind und er bei so einer Atomsphäre am liebsten selbst auf die Platte treten würde. Er forderte von jedem vollen Einsatz – eben diese 10 oder 20% über dem Limit. Wir sollten uns voll reinschmeißen und als Team zusammenhalten.

Eine Ansprache, die nicht besser hätte passen können. Auf dem Weg zurück in die Halle betrat mit uns auch das Schiedsrichtergespann um Heiko Beck und Niclas Krebs die Platte. Pünktlich um 17:00 Uhr schallte der bekannte schrille Pfiff durch die Halle. Anpfiff!

Das Spiel startete mit dem ersten Angriffslauf der Heimmannschaft. Scharfe und schnelle Pässe. Man konnte schon im ersten Spielaufbau sehen, dass diese Mannschaft deutlich stärker ist als unsere bisherigen Gegner vom Bodensee. Yannik Franz gelang es jedoch, einen scharfen Pass abzufangen und den Turbo zu zünden. Abgebrüht und eiskalt, traf er zum 0:1 und brachte uns somit nach 48 Sekunden zum ersten Mal auf die Anzeigetafel. In der Folge entwickelte sich in den ersten Minuten ein Spiel auf Augenhöhe. Jeder unserer Treffer wurde direkt bestraft – keine Mannschaft konnte sich somit früh absetzen. Nach 12 Minuten hatte Coach Radon genug gesehen. Bei einem Zwischenstand von 10:10 griff er zum grünen Karton und forderte eine Unterbrechung. Er forderte mehr Zug zum Tor. Chancenverwertung passt, aber auch in der Abwehr muss noch mehr gearbeitet werden.

Wie es weiterging? Eigentlich ziemlich gut! Wir setzten die Forderungen direkt um. In der Folge wurde das Spiel körperlicher, an manchen Ecken vielleicht auch emotionaler. Die Körperlichkeit, brachte die ersten Zeitstrafen. Erst Benjamin Innenmoser, kurz nach unserem Timeout. 33 Sekunden später traf es dann auch Tobias Rupp. Auf einmal hatten wir Platz und den wussten wir zu nutzen. Erst Ole Osann, darauf Yannik Franz und dann noch doppelt von Fynn Osann. 16. Spielminute. 10:14 – erste kleine Führung. Ich fand in dieser Phase auch immer besser ins Spiel und bekam immer öfter noch meine Finger an den Ball! Bis zur 20. Minute erhöhte erneut Yannik auf 12:17.

Bis zur 28. Minute lief es wie aus dem Bilderbuch. Unsere Abwehr stand wie ein Bollwerk, jeder Rückraumwurf wurde angelaufen, jeder Kreisläuferkontakt war umkämpft. Und wenn doch mal was durchkam – dann war ich da. Parade um Parade, der Puls auf 180, der Fokus messerscharf.

Vorne? Eiskalt. Jeder Abschluss saß, jeder Angriff war durchdacht. In dieser Phase zeigte Martin Denecke, warum er genau der richtige Mann für genau diese Spiele ist – trocken, entschlossen, unaufgeregt. Sein Treffer zum 15:22 markierte den bisherigen Höhepunkt. Stuttgart wirkte angezählt. Kein Zugriff, keine Ideen. Die Mannen rund um Coach Markus Lenk fanden keine Antwort – zu schnell, zu kompromisslos, zu wach waren wir in diesen Minuten.

Und dann kam sie. Diese eine Phase, die so oft übersehen wird, aber alles verändern kann: die letzten zwei Minuten vor der Pause. In Unterzahl (!) drehte Stuttgart plötzlich auf, kämpfte sich mit zwei schnellen Treffern wieder auf 17:22 heran – ein Achtungserfolg der Gastgeber, der aus unserer Sicht natürlich bitter schmeckte. Denn Fakt war: Wir hatten sie am Rande des Knockouts. Noch ein oder zwei Tore mehr – und der moralische Stecker wäre wohl gezogen gewesen. Stattdessen: kleiner Dämpfer. Aber kein Beinbruch. In der Kabine blieb Coach Radon ruhig – aber klar. Er lobte den Kampf, die Cleverness, das Herz. Doch der letzte Biss? Der fehlte ihm. Wachsam bleiben, Fehlerquote klein halten, immer bereit sein – das war die Ansage. Keine Spur von Selbstzufriedenheit, sondern dieses ständige Mehr-wollen, das uns in die Relegation getragen hat. Kraft mit Präzision ersetzen, sich in jeden Ball werfen, Spaß am Spiel behalten – das war die Formel. Noch waren 30 Minuten zu gehen. 30 Minuten für ein Statement. Oder einen Absturz. Alles war offen.

Zurück auf der Platte. Die Köpfe waren oben, die Körper heiß. Und wir fanden sofort wieder in die Spur. Keine 22 Sekunden waren in Halbzeit zwei gespielt, da fasste sich Captain Mathis Rau ein Herz, tankte sich durch und netzte kompromisslos zum 17:23 ein. Eine klare Ansage: Wir sind zurück. Wir sind bereit. Wir wollen mehr.

Und wir lieferten. Bis zur 40. Minute zogen wir auf 21:28 davon. Sieben Tore – erneut. Alles sah danach aus, als könnten wir dieses Spiel endgültig an uns reißen. Doch wer dachte, die Heimmannschaft würde sich ergeben, kennt diesen Sport nicht. Allen voran Jan Billner stemmte sich dagegen – suchte immer wieder die Lücken im Mittelblock und verwandelte mit Präzision. Ein stiller Leader auf der Gegenseite, der sich nicht abschütteln ließ.

Und wieder verpassten wir diese verdammte Ausfahrt. Diese eine Phase, in der man den Deckel draufmacht. Wie schon in der ersten Hälfte fehlte der letzte Punch, um den Abstand uneinholbar werden zu lassen. Stattdessen: Stuttgart blieb dran, wie ein Gegner im Boxring, der trotz Rückstand nicht fällt.

Aber zum Glück gab es sie auch – die Konstanten in diesem Spiel.

Ole Osann. Was dieser Kerl da auf die Platte zauberte, war nichts weniger als ein mentales Meisterstück. Sechs Mal ging er an die Linie. Sechs Mal stand er da – ganz allein gegen den Keeper, das Publikum laut, die Halle brodelnd, der Druck greifbar. Und was machte Ole? Keine Regung. Kein Zucken. Nur Ziel, Schritt, Wurf – und drin. Sechsmal. Eiskalt wie ein Nordwind im Januar. Doch das war nur die halbe Wahrheit. Denn Ole war nicht nur sicher vom Punkt. Er war auch aus dem Feld zur Stelle, wenn das Spiel zu kippen drohte. Drei Tore aus dem Rückraum, platziert, entschlossen, ohne Schnickschnack – einfach Handball pur. Kein Spektakel, keine Show – nur Effektivität und Verantwortung. Ein Anker in der Sturmphase, ein Mann, der sich nicht beeindrucken ließ – nicht von der Uhr, nicht vom Gegner, nicht vom Moment.

Und dann war da auch noch Yannik Franz. Wenn es einen Inbegriff für die Aussage „Wenn nicht jetzt, wann dann?“ gibt – dann war es Yannik an diesem Tag. Was er da über 60 Minuten auf die Platte zauberte, war nichts Geringeres als eine der bemerkenswertesten Einzelleistungen dieser Saison. Voller Wille, voller Wucht, voller Überzeugung. Nur ein einziges Mal scheiterte er am gegnerischen Torhüter. Nur einmal! Alle anderen Versuche? Würfe ins Glück. Pässe, die zu Treffern wurden. Ideen, die zu Jubel führten.

Am Ende standen 13 Tore auf dem Bogen hinter seinem Namen. Dreizehn. Keine Zufallstreffer, keine Alibi-Würfe – jeder einzelne davon ein Statement. Er war immer da, wenn es brannte. Immer da, wenn einer den Unterschied machen musste. Relegation heißt: aufstehen, wenn’s zählt. Und Yannik Franz? Stand nicht nur. Er marschierte voran.

Mit Sicherheit zwei herausragende Einzelleistungen – aber unterm Strich war es ein Sieg des Teams.

Jeder einzelne hat sich reingeworfen, hat mitgezogen, hat Verantwortung übernommen. Es war dieser vielbeschworene Schulterschluss, der den Unterschied gemacht hat. Kein Ego, kein Zögern – sondern ein Kollektiv, das sich den Erfolg hart erarbeitet hat.

Und trotzdem. Kurz vor dem Ende dann wieder dieses Muster. Wie schon vor der Halbzeit: eine Zeitstrafe, ein kurzer Einbruch, zwei Gegentreffer. Die HSG Oberer Neckar kam nochmal durch – zweimal, versteht sich. Natürlich. Der Spielstand? 35:41. Und der war mehr als verdient. Der spiegelte das Spiel ziemlich genau wider: schnell, intensiv, torreich. Ein echtes Relegationsspiel.

Unser Dank? Der geht weit über uns hinaus. Ein großes Dankeschön an die Gastgeber aus Stuttgart für ein faires, kampfbetontes Spiel. Und ein noch größerer Dank an unsere mitgereisten Fans. An euch, die keine Mühen gescheut haben, die Stimmung gemacht, uns getragen, uns gepusht haben – auf jedem Meter, in jedem Moment.

Ihr wart laut, ihr wart leidenschaftlich – ihr wart der Rückhalt, den man in so einem Spiel braucht. Ohne euch? Wäre das so nicht möglich gewesen. Punkt. Diese Erinnerung – sie bleibt. Sie brennt sich ein. Für immer.

Und jetzt? Jetzt gilt der Blick nach vorn. Rückspiel oder eher Entscheidungsspiel – Diesen Samstag. 19:00 Uhr. Unterseehalle. Zuhause. Mit euch. Alles geben. Alles reinwerfen. Ein letztes Mal. Für den Aufstieg.

Louis Ruf